Ungleichheitsbarometer: Wer ist Mittelklasse?
Die Befragung des Cluster-Ungleichheitsbarometers offenbart große Missverständnisse über Ausmaß und Verteilung von Einkommens- und Vermögensungleichheit: Viele Reiche ebenso wie viele Angehörige unterer Einkommensschichten glauben fälschlich, dass sie zur Mittelklasse gehören. Dennoch wünschen sich die Befragten eine egalitärere Gesellschaft und bewerten Aufstiegsmöglichkeiten pessimistisch.
Das Ungleichheitsbarometer ist eine repräsentative Online-Befragung, die 2020 das erste Mal in Deutschland durchgeführt wurde. Das Barometer erhebt die individuellen Wahrnehmungen unterschiedlicher Aspekte von Ungleichheit und sozialer Mobilität. Außerdem erfragt es auch die Einstellungen zu unterschiedlichen Maßnahmen und Reformvorschlägen, die mit Ungleichheit zu tun haben. Die Befragung besteht aus einem Kernmodul an Fragen, die in zukünftigen Befragungswellen wiederholt gestellt werden, sowie aus einigen zusätzlichen Modulen, deren Fokus sich über die Wellen unterscheidet.
Die erste Welle der Befragung wurde im September 2020 durchgeführt. Insgesamt wurden 6.000 erwachsene Personen mit Wohnsitz in Deutschland befragt. Die Ergebnisse wurden als Policy Paper 06 des Clusters sowie als wissenschaftliches Working Paper publiziert und fanden breites Echo.
Resultate
In der Selbstpositionierung auf der Einkommensverteilung neigten die Befragten dazu, sich im mittleren Bereich zu platzieren, auch wenn sie eigentlich wesentlich ärmer oder reicher als der Durchschnitt sind. Die reichsten 10 Prozent unterschätzen ihre Position und glauben, sie gehörten allenfalls zu den reichsten 35 Prozent; die ärmsten 10 Prozent schätzten im Durchschnitt, dass sie immerhin oberhalb der 25-Prozent-Marke liegen.
In Deutschland sind Vermögen ungefähr dreieinhalb mal so ungleich verteilt wie Einkommen. Dennoch schätzten die Befragten des Ungleichheitsbarometers die Einkommensverteilung als etwas ungleicher ein als die der Vermögen.
Nach ihrer Vermutung befragt, wie sie die Verteilung in der deutschen Gesellschaft insgesamt wahrnehmen, gingen vier von fünf Teilnehmenden von einer sehr ungleichen Gesellschaft mit einer großen Mehrheit ärmerer Menschen aus. Mehr als ein Viertel nahm an, dass die Mittelschicht die kleinste Gruppe darstellte. Als ihre Idealvorstellung gaben 58 Prozent der Befragten eine Gesellschaft an, in der die Mittelschicht die größte Gruppe darstellt und es nur wenige Arme und Reiche gibt.
Soziale Mobilität wird insgesamt pessimistisch gesehen, aber verschiedene Gruppen von Befragten nehmen sie unterschiedlich wahr: Befragte mit geringerem Einkommen oder niedrigerem Bildungsniveau sind optimistischer. Sie schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder aus der untersten Einkommensgruppe sich im Erwachsenenalter in der höchsten Einkommensgruppe wiederfinden, auf rund 10 Prozent (Befragte mit hohem Einkommen/Bildungsstand rechnen nur mit der Hälfte). Gleichzeitig halten sie es für weniger wahrscheinlich als andere Befragte, dass diese Kinder in der untersten Einkommensgruppe bleiben (etwas über 30 Prozent im Vergleich zu über 40 Prozent bei den wohlhabenden bzw. hochgebildeten Befragten).
Die Wahrnehmung von Einkommensungleichheit und Mobilitätschancen ist regional unterschiedlich. Befragte in Ostdeutschland nehmen Einkommensungleichheit als problematischer war. In den Wahrnehmungen von Mobilitätschancen ist kein klarer Ost-West-Unterschied zu erkennen.
Wiederkehrende Befragung
Die zweite Befragungswelle des Ungleichheitsbarometers ist in Vorbereitung. Sie wird voraussichtlich im September 2022 stattfinden.