Mit Avataren dem Charisma auf der Spur
Werden vor allem Personen mit einem hohen Status als charismatisch wahrgenommen? Und was bedeutet dies für Menschen mit niedrigem Status? Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt an der Universität Konstanz nimmt das Charisma von PolitikerInnen mit gesellschaftlich marginalisiertem Hintergrund in den Blick.
In der Politik ist diese Gruppe – Frauen beispielsweise oder Menschen mit einer anderen sozialen oder ethnischen Herkunft als die Mehrheitsgesellschaft – immer noch unterrepräsentiert, so fanden mehrere Studien heraus. „Kann es sein, dass sich Wahrnehmungen von Charisma bei Menschen mit unterschiedlichem Status unterscheiden?“, fragt Soziolinguistin Judit Vári, die maßgeblich an dem Projekt beteiligt ist. Die Forschenden wollen sowohl die bewussten Charisma-Zuschreibungen als auch die unbewussten herausfinden. Und sie arbeiten dabei mit Stimuli, bei denen nur eine Stimme gehört, nur ein Bild präsentiert oder beide kombiniert werden.
Die äußere Erscheinung, so weiß man aus Studien, spielt bei Charisma-Wahrnehmung generell eine große Rolle. Damit das Projekt-Team einzelne Puzzleteile isolieren kann, verwendet es keine echten Personen in den Experimenten, sondern eigens dafür entworfene Avatare. Diese sollen nicht nur natürlich aussehen, sondern sich auch naturecht animieren lassen. Mithilfe der Avatare können die ForscherInnen einzelne Faktoren isolieren, indem sie nur einen Aspekt wie die Hautfarbe verändern.
Außerdem können Menschen erstaunlich viel aus einer Stimme heraushören oder herleiten, etwa einen ethnischen Hintergrund. So testet das Team bei den auditiven Stimuli Variationen im Akzent und Dialekt. Vári erklärt: „Uns interessiert besonders die Kombination der Elemente, ob dieses Charisma auch noch gehört wird, wenn die Person anders aussieht. Und möglicherweise sprechen zwei Personen gleich schnell, gleich hoch oder tief, benutzen die gleichen Wörter, werden jedoch anders im Charisma eingeschätzt, weil eben Merkmale des niederen Status doch herauszuhören sind.“
Doch auch die Zuhörerschaft selbst beeinflusst, wie Charisma-Merkmale bewertet werden, was noch kaum erforscht ist. Das Projekt-Team legt daher einen Schwerpunkt auf Unterschiede im Publikum: Bei wem kommt jemand anderes als charismatisch an und wovon hängt das ab?
Aktuell sucht das Projekt-Team Menschen, die dabei helfen, die besten Eigenschaften von charismatischen und anderen PolitikerInnen zu finden. Freiwillige melden sich bitte auf der Website oder schreiben eine E-Mail an charisma@uni-konstanz.de.
Der ausführliche Beitrag über das Forschungsprojekt „Wahrnehmungen von politischem Charisma bei SprecherInnen mit niedrigem Status“, das das Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ fördert, ist im Magazin uni’kon der Universität Konstanz frei verfügbar (uni’kon #77): im E-Reader und in der PDF-Fassung.