Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine rasch Kita- und Schulbesuch ermöglichen
SWK-Mitglied und Cluster-Co-Sprecherin Claudia Diehl in einem gemeinsamen Pressestatement der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz und des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR): "Die frühe Integration in das Bildungssystem bietet den Betroffenen ein Stück Normalität und Alltag, sie beugt späteren Ungleichheiten zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Fluchthintergrund vor – und sie stärkt bestehende Verbindungen zwischen der Ukraine und Deutschland."
Bonn/Berlin, 21. März 2021. „Die Erfahrung mit früheren Fluchtbewegungen lehrt, dass sich bei einem Teil der Geflüchteten der Aufenthalt verstetigt, auch wenn derzeit viele Ukrainerinnen und Ukrainer auf eine baldige Rückkehr hoffen. Die frühe Integration in das Bildungssystem ist aber unabhängig von der Frage nach Rückkehr oder Verbleib wichtig. Sie bietet den Betroffenen schon kurz nach Ankunft ein Stück Normalität und Alltag, sie beugt zugleich späteren Ungleichheiten zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Fluchthintergrund vor – und sie stärkt bestehende Verbindungen zwischen der Ukraine und Deutschland“ erklärt Claudia Diehl, Mitglied der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz.
„Bei der Integration ins Bildungssystem gilt es sowohl Isolation als auch Segregation ukrainischer Kinder und Jugendlicher zu vermeiden. Dies bedeutet konkret, den Einrichtungen weder einzelne noch eine sehr große Gruppe von Kindern zuzuweisen“, so Claudia Diehl weiter. Dabei muss darauf geachtet werden, dass Schulen, die beispielsweise aufgrund eines hohen Lehrkräftemangels bereits stark belastet sind, nicht zusätzlich beansprucht werden.
„Der Unterricht kann bei jüngeren Kindern in der Grundschule und den ersten Jahren der Sekundarstufe in den Regelklassen erfolgen. In etwa der Hälfte der Schulstunden erhalten sie Unterricht in Deutsch“, empfiehlt Michael Becker-Mrotzek, ebenfalls Mitglied der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission. „Ältere Schülerinnen und Schüler können auch in eigenen Vorbereitungsklassen, den sogenannten Willkommenskassen, unterrichtet werden. Bei einem längeren Aufenthalt sollten sie aber nach etwa einem Jahr in eine Regelklasse wechseln und dort weiter gezielt beim Erwerb des Deutschen unterstützt werden“, so Becker-Mrotzek weiter. Für Schülerinnen und Schüler, die vor der Flucht kurz vor einem Schulabschluss standen, sind fluchtbedingte Unterbrechungen der Bildungskarriere besonders belastend. Hier sollten Möglichkeiten ausgelotet werden, wie Jugendliche ihren Abschluss schnellstmöglich auch von Deutschland aus erwerben können.
Auch die aufnehmenden Schulklassen gilt es in den Blick zu nehmen, so Birgit Leyendecker, Mitglied des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR): „Viele deutsche Schülerinnen und Schüler haben den Krieg in der Ukraine wahrgenommen. Es ist dennoch wichtig, sie vor der Ankunft geflüchteter Mitschülerinnen und Mitschüler über die Hintergründe der aktuellen Fluchtbewegung zu informieren, damit sie ein Verständnis für deren Situation entwickeln, sie willkommen heißen und nach Kräften unterstützen.“
Anders als der Schulbesuch ist der Kitabesuch in Deutschland nicht verpflichtend, die Plätze sind oft knapp. Gleichzeitig bietet die frühe Bildung aber gerade für neu in Deutschland ankommende Kinder wichtige Gelegenheiten, um sie auf den Schulbesuch vorzubereiten und ihren Alltag zu strukturieren. Kitas können zudem familiär bedingte Ungleichheiten in Lernumgebung und Freizeitmöglichkeiten abfedern. Der Kitabesuch schafft außerdem für Mütter Freiräume und ermöglicht diesen, Sprachkurse zu besuchen oder sich auf den Einstieg in den Arbeitsmarkt vorzubereiten. „Aus der Ukraine kommen derzeit vor allem Frauen und Kinder. Die Integrationskursangebote müssen darauf reagieren, hier ist Kinderbetreuung zentral. Wenn die Mütter nicht wissen, wie ihre Kinder in der Zeit versorgt sind, werden sie keine Integrationskurse besuchen“, so Petra Bendel, Vorsitzende des SVR. Die Geflüchteten sollten bei der Suche nach einem Betreuungsplatz unterstützt werden.
Die im Zuge der Pandemie ergriffenen Eindämmungsmaßnahmen haben den Spracherwerb bereits in Deutschland lebender Geflüchteter erschwert. Viele Sprachkurse wurden teilweise online abgehalten oder ausgesetzt. So wichtig es ist, ukrainischen Müttern möglichst schnell den Sprachkursbesuch zu ermöglichen: Dies sollte nicht zu Lasten der früher Zugezogenen geschehen. Vielmehr sollte das Sprachkursangebot insgesamt ausgedehnt und speziell an die Zielgruppe geflüchteter Frauen ausgerichtet werden. Dies ist nicht nur wichtig für den Spracherwerb, sondern dient auch dem Aufbau von sozialen Netzwerken.
Bei der Bewältigung dieser aktuellen Herausforderung für das deutsche Bildungssystem kann ukrainisches, pädagogisch qualifiziertes Personal eine wichtige Rolle spielen. Schon bevor Anerkennungsfragen abschließend geklärt sind, sollten Möglichkeiten geschaffen werden, diese in den Kita- und Schulalltag einzubeziehen. Dies kann Lehrpersonal entlasten und dabei helfen, Kontakt zu ukrainischen Eltern zu halten, Nachmittagsangebote zu ermöglichen, Kinder mit psychischen oder sozialen Problemen zu identifizieren und zu unterstützen und es denjenigen ohne Deutschkenntnissen erleichtern, dem Fachunterricht zu folgen.
Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz arbeitet aktuell an einer Stellungnahme mit konkreten Empfehlungen.