Bank an einem Gleis. Neben der Bank liegt Gepäck.
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Einfluss von außerrechtlichen Faktoren auf Asylentscheidungen

Die Schutzquote in einer Region hängt auch davon ab, wie immigrationsskeptisch deren Bevölkerung ist, zeigt eine Studie mit Beteiligung der Universität Konstanz.

Seit Jahren steht die deutsche Asylpolitik in der Kritik, dass die Chancen für Asylsuchende, als Geflüchtete anerkannt zu werden oder in anderer Form geschützt zu werden, regional stark variieren. So unterschieden sich die Schutzquoten der über die Republik verteilten Asylzentren besonders im Nachgang zur sogenannten Flüchtlingskrise oft im zweistelligen Prozentbereich. Ob diese Differenzen jedoch auf politische Präferenzen zurückzuführen sind, ließ sich bislang aufgrund begrenzter Daten nicht eindeutig belegen.

Eine aktuelle Studie, an der Forschende des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sowie der Universitäten Konstanz und Bamberg beteiligt waren, liefert nun neue Erkenntnisse. Die Untersuchung basiert auf umfangreichen Individualdaten und bestätigt frühere Befunde, wonach die regionalen Präferenzen der Bevölkerung und der Landesregierungen das Risiko von Asylsuchenden mitprägen, keinen Schutz durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu erhalten. So ist in Regionen, in denen die Bevölkerung skeptisch gegenüber der Einwanderung von Ausländern eingestellt ist, die individuelle Chance geringer, Schutz zu erhalten. Dasselbe gilt für Regionen mit einer restriktiv angewendeten Immigrationspolitik. In der Studie wird dies mittels der restriktiven Umsetzung der Wohnsitzauflage und der Ausgabe von Sozialleistungen an Asylsuchenden in Sachleistungen statt Geldtransfers abgebildet. Grundlage für die Erkenntnisse waren quantitative Auswertungen auf Basis der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten.

Brisanter Befund

Dieser Befund ist politisch insofern brisant, als die einzelne Schutzentscheidung einzig von der glaubwürdigen Begründetheit des Antrags bzw. der Situation im Herkunftsland abhängen sollte. Dass außerrechtliche Erwägungen in BAMF-Entscheidungen eine Rolle spielen, schadet nach den Ausführungen des Autorenteams – Lidwina Gundacker (IAB), Yuliya Kosyakova (IAB und Universität Bamberg) und Gerald Schneider (Universität Konstanz) – dem Ansehen des Grundrechts auf Asyl für politisch Verfolgte. Die AutorInnen können exemplarisch für muslimische Asylsuchende zeigen, dass deren Chance, Schutz zu erhalten, systematisch geringer ist als für andere BewerberInnen.

Die Studie zeigt ferner, dass kein direkter Einfluss der politischen Orientierungen der gegenwärtigen Landesregierungen auf den Ausgang von Asylverfahren messbar ist. Entgegen der Erwartungen ist in Bundesländern mit einer sozialdemokratischen Regierungstradition die Chance geringer, geschützt zu werden, als in Ländern, in denen die Christdemokraten länger an der Macht waren. Im Widerspruch zu einer zentralen These der Diskriminierungsliteratur – der sogenannten statistischen Diskriminierung – verringert sich außerdem der Einfluss der regionalen Immigrationspräferenzen auf die BAMF-Entscheidungen nicht systematisch, wenn sich das Wissen um die Situation in den Herkunftsländern der Asylsuchenden verbessert oder wenn sich die Arbeitslast in den Asylzentren verringert. Diskriminierendes Entscheidungsverhalten ist also nicht auf Wissenslücken oder hohe Arbeitsbelastung zurückzuführen.  

Mehr Schulung, unabhängige Evaluation und bessere Daten

Der Einfluss von außerrechtlichen Faktoren ließe sich nach den AutorInnen dann reduzieren, wenn die Mitarbeitenden des BAMF regelmäßig geschult und die Verfahren besser kontrolliert würden. So berichtete die Bundesregierung über den Vollzug des Asylverfahrens nur auf parlamentarische Anfragen der ehemaligen Fraktion der Linken im Bundestag. Angesichts der weiterhin bestehenden Differenzen im Asylvollzug wäre es nach den AutorInnen auch angezeigt, dass sich das BAMF für eine unabhängige Evaluation seiner Entscheidungsverfahren öffnet und die Veröffentlichung wesentlicher Kennzahlen zu Asylentscheidungen in der Bundesrepublik systematisiert.

Faktenübersicht

  • Originalveröffentlichung: Lidwina Gundacker, Yuliya Kosyakova und Gerald Schneider. 2024. How regional attitudes towards immigration shape the chance to obtain asylum: Evidence from Germany. Migration Studies. Doi: https://doi.org/10.1093/migration/mnae002
  • Studie von Forschenden des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und der Universitäten Konstanz und Bamberg kommt zum Ergebnis, dass die Schutzquoten in einer Region auch davon abhängen, wie immigrationsskeptisch Bevölkerung und Regierung sind.
  • Die Studie wurde vom Exzellenzcluster “The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz gefördert.
  • Gerald Schneider ist Professor für Internationale Politik an der Universität Konstanz und Principal Investigator am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“.
  • Der Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ erforscht aus interdisziplinärer Perspektive die politischen Ursachen und Folgen von Ungleichheit. Die Forschung widmet sich einigen der drängendsten Themen unserer Zeit: Zugang zu und Verteilung von (ökonomischen) Ressourcen, der weltweite Aufstieg von PopulistInnen, Klimawandel und ungerecht verteilte Bildungschancen.