Wie staatliche Leistungsfähigkeit gestärkt und lokale Governance verbessert werden kann
Die Auswahl von EmpfängerInnen staatlicher Sozialhilfen in Bangladesch
Projektbeschreibung
Ziele und zentrale Forschungsfragen
Das Projekt erforscht die Auswahl von EmpfängerInnen staatlicher Sozialhilfen an Arme ältere Personen in ländlichen Regionen Bangladeschs. Wir erproben Interventionen, mit deren Hilfe der Auswahlprozess für die sogenannten Social Pensions, wie lokale RegierungsvertreterInnen ihn durchführen, verbessert werden soll. Diese Social Pensions sind aus zwei Gründen ein interessantes Forschungsfeld: Arme ältere Menschen sind in vielen Entwicklungsländern eine zunehmend wichtige, aber weitgehend unerforschte Bevölkerungsgruppe. Und sie sind eine besonders ungeschützte und schwer zu erreichende Zielgruppe. Mechanismen, die sich hier als wirksam erweisen, können in anderen Kontexten potenziell noch besser funktionieren.
Unsere Pilotstudie im Frühjahr 2018 hat erwiesen, dass die EmpfängerInnenauswahl, wie sie einmal jährlich stattfindet, sehr wenig mit den Berechtigungskriterien der Regierung zu tun hat. Lokalen RegierungsvertreterInnen fehlen das Wissen und die Mittel, um die staatlichen Hilfen entsprechend der Richtlinien der Nationalregierung an die Berechtigten zu bringen. Sie wählen entweder ad hoc bei einer Versammlung an öffentlichem Ort aus, oder aber ohne jede Transparenz hinter geschlossenen Türen. Unser Projekt führt Interventionen aus (siehe unten), um zu eruieren, wie die Empfängerinnen und Empfänger von Social Pensions auch mit den Mitteln lokaler AmtsträgerInnen entsprechend der Kriterien der Nationalregierung ausgewählt werden können.
Hintergrund
Staatliche Leistungsfähigkeit und Rechenschaftspflicht sind in vielen Entwicklungsländern schwach ausgeprägt. Staatliche Hilfen erreichen ihre EmpfängerInnen daher häufig nicht oder unzureichend, was von internationalen Organisationen wie der Weltbank und der UN als schwerwiegendes Problem anerkannt wurde. Diese Probleme haben in der Forschungsliteratur viel Aufmerksamkeit erfahren. Die vorhandenen Studien richten ihr Augenmerk fast ausschließlich auf die Rechenschaft und Verantwortlichkeit. So rigoros die Daten erhoben und Belege gesammelt wurden, gerät dabei doch aus dem Blick, dass lokalen AmtsträgerInnen oft die Kapazitäten fehlen, um der Nachfrage nach staatlichen Hilfen gerecht zu werden. Die Feldexperimente in unseren Projekt verlagert den Schwerpunkt daher auf die Rolle der staatlichen Leistungsfähigkeit – ein potenziell gleich wichtiges Feld, auf dem die Wirksamkeit staatlicher Hilfen gesteigert werden kann.
Methoden
Wir konzentrieren uns für unser Treatment auf zwei Bereiche: Wir trainieren lokale RegierungsvertreterInnen in der Handhabung einfacher Hilfsmittel zur Feststellung von Bedürftigkeit. Und wir helfen den betroffenen älteren Menschen beim Ausfüllen von Anträgen und durch die Bereitstellung von Informationen. Als Werkzeug zur einfachen Berechtigungsfeststellung haben wir ein Punktesystem entwickelt, mit der die zahlreichen Kriterien der Berechtigung und des Vorrangs auf eine Dimension reduziert werden. So können potenzielle EmpfängerInnen staatlicher Hilfen in eindeutig berechtigte (grün), berechtigte (gelb) und nicht berechtigte (rot) Gruppen unterteilt werden. Auf der Basis dieser Punktbewertungen und der noch einfacheren Farbkodierung haben wir Berechtigungskarten erstellt und lokale RegierungsvertreterInnen in einer Treatment-Gruppe in deren Gebrauch unterwiesen. In einer zweiten Treatment-Gruppe haben wir außerdem die Dörfer und Gemeinden besucht, einen Informationsstand aufgebaut und die Anwesenheit von Hilfspersonal unserer Partner-Nichtregierungsorganisation RDRS breit verkündet (per Megaphon-Wagen). Dieses Personal half den interessierten älteren Menschen beim Ausfüllen eines kurzen Fragebogens und händigte ihnen ihre Berechtigungskarten aus. Eine dritte, gleichgroße Gruppe von Dörfern und Gemeinden erhielt kein Treatment und fungierte als Kontrollgruppe.
Beteiligte Fachrichtungen
Economics, Political Science
Laufzeit
März 2019 - Dezember 2021
Projektpartner
Thurgauer Wirtschaftsinstitut
Das Thurgauer Wirtschaftsinstitut (TWI) ist ein Aninstitut der Universität Konstanz und ein Zentrum für experimentelle Wirtschaftsforschung in der Bodenseeregion. Der Institutsleiter ist gleichzeitig Inhaber des Lehrstuhls für Verhaltensökonomik an der Universität.
Im „Lakelab“, dem Labor an der Universität Konstanz, treffen Personen in Experimenten Entscheidungen mit monetären Konsequenzen. Auf diese Weise werden unterschiedlichste ökonomische Situationen erforscht; beispielsweise wie Märkte funktionieren, wann Menschen bereit sind zu Kooperation oder wer risikofreudig ist.
ZHAW Leading House South Asia and Iran
Die ZHAW ist seit Frühling 2017 «Leading House» für die bilaterale Forschungszusammenarbeit der Schweiz mit Südasien und dem Iran. Sie fördert damit im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation Kooperationen mit den wichtigsten wissenschaftlichen Institutionen in der Region.
International Growth Center, London School of Economics
Ziel des Internationalen Wachstumszentrums (IGC) ist die Förderung eines nachhaltigen Wachstums in Entwicklungsländern durch nachfrageorientierte Politikberatung auf der Grundlage von Pionierforschung.
Das IGC leitet ein globales Netzwerk von weltweit führenden Forschern und Länderteams in Afrika und Südasien und arbeitet eng mit Partnerregierungen zusammen, um qualitativ hochwertige Forschung und Politikberatung zu wichtigen Wachstumsherausforderungen zu generieren. Die an der LSE angesiedelte und in Partnerschaft mit der Universität Oxford durchgeführte Regierungskonferenz wird mehrheitlich vom britischen Ministerium für internationale Entwicklung (DFID) finanziert.
James P. Grant School of Public Health, BRAC University
Die BRAC James P Grant School of Public Health wurde 2004 in Dhaka, Bangladesch, gegründet, um sich mit den unbewältigten Herausforderungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit insbesondere in Asien, Afrika und Südamerika auseinanderzusetzen.
ARCED Foundation
Die Aureolin Research, Consultancy and Expertise Development (ARCED) Foundation ist eine 2013 gegründete gemeinnützige Organisation zur Unterstützung und Beratung von Forschungsprojekten in Bangladesch und außerhalb. ARCED verfolgt das Ziel, durch die Durchführung von Trainings, zertifizierten Kursen, Workshops und Seminaren Wissen über wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben.
Rangpur Dinajpur Rural Service (RDRS) Bangladesh
Das RDRS-Programm wurde 1972 zur Unterstützung der Nothilfe und des Wiederaufbaus in der Region Rangpur-Dinajpur unmittelbar nach dem Unabhängigkeitskrieg eingerichtet und entwickelte sich zu einem sektoralen und dann umfassenden Programm. Früher war RDRS das Bangladesch-Feldprogramm des in Genf ansässigen Lutherischen Weltbundes/Abteilung für Weltdienst. 1997 wurde RDRS zu einer nationalen Entwicklungsorganisation. RDRS leistet nun seine Entwicklungshilfe für über 2.000.000 Menschen in 20 Distrikten in Bangladesch.
Prof. Dr. Katharina Michaelowa
Katharina Michaelowa ist Professorin für Politische Ökonomie und Entwicklungspolitik an der Universität Zürich und am Center for Comparative and International Studies (CIS) von ETH und Universität Zürich. Ihre Forschung zur Entwicklungspolitik, zur internationalen Zusammenarbeit und zur internationalen Klimapolitik wurde in über hundert Publikationen veröffentlicht, darunter verschiedene Bücher und Artikel in Zeitschriften wie International Organization, International Studies Quarterly, Review of International Organizations, Journal of the Royal Statistical Society, Public Choice, World Development, Economic Development and Cultural Change, Climate Policy und Climatic Change. Zudem ist sie Mitglied des Präsidiums des Schweizerischen Nationalfonds (SNF), wo sie für den Bereich der internationalen Zusammenarbeit verantwortlich ist.
Atonu Rabbani
Associate Professor, Department of Economics, University of Dhaka
Kumar Biswas
Weltbank; ab Herbst 2020 auch Universität Konstanz
Department of Social Services Bangladesh
National Academy of Social Services Bangladesh
Literatur
Publikationen
Asri, Viola, Katharina Michaelowa, Sitakanta Panda, and Sourabh B. Paul. 2022. “The Pursuit of Simplicity: Can Simplifying Eligibility Criteria Improve Social Pension Targeting?” Journal of Economic Behavior & Organization 200:820–46. https://doi.org/10.1016/j.jebo.2022.06.003.
Asri, Viola, Kumar Biswas, Sebastian Fehrler, Urs Fischbacher, Katharina Michaelowa, and Atonu Rabbani. 2020. “Contacts Matter: Local Governance in the Targeting of Social Pensions in Bangladesh.” http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-2-10okoggvv9qu79.