Roboter erkunden, wie Fische in Schwärmen Energie sparen
Studie mit bionischen, fischartigen Robotern zeigt, wie Fische Energie sparen, indem sie nahe beieinander schwimmen – Forschungsprojekt unter Beteiligung der Universität Konstanz liefert erste experimentelle Antwort auf eine uralte Frage.
Fische in Schwärmen schwimmen auf eindrucksvolle Art und Weise synchron. Dennoch haben Jahrhunderte der Forschung eine grundlegende Frage nicht beantworten können: Sparen Fische durch das Schwimmen im Schwarm Energie? Nun liefern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Konstanzer Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie (Max Planck Institute of Animal Behavior, MPI-AB), der Universität Konstanz und der Universität Peking die Antwort, die seit langem vermutet, aber nie schlüssig durch Experimente belegt wurde: Ja.
Mit bionischen, fischartigen Robotern konnten die Forscherinnen und Forscher zeigen, dass Fische durch die Anwendung einer einfachen Verhaltensregel Wasserstrudel ausnutzen können, die von vor ihnen schwimmenden Artgenossen erzeugt werden. Indem sie ihren Schwanzflossenschlag an ihre direkten Nachbarn anpassen – eine Strategie, die als „vortex phase matching“ bezeichnet wird – profitierten die Roboter hydrodynamisch von einem nahen Nachbarn, unabhängig davon, wo sie sich im Verhältnis zu diesem Nachbarn positionieren. Das bisher unbekannte und mit den Robotern nachgewiesene Prinzip erwies sich dabei als dieselbe Strategie, die wildlebende Fische anwenden. Diese Forschungsergebnisse werden am 26. Oktober 2020 im Fachjournal Nature Communications veröffentlicht.
„Fischschwärme sind hochdynamische, soziale Systeme“, sagt Seniorautor Prof. Dr. Iain Couzin, Direktor des MPI-AB und Principal Investigator des Exzellenzclusters „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ an der Universität Konstanz. „Unsere Ergebnisse liefern eine Erklärung dafür, wie Fische von den Wasserstrudeln profitieren können, die von benachbarten Fischen erzeugt werden, ohne feste Abstände zueinander einhalten zu müssen.“
Roboterfische liefern die Lösung
Die Frage, ob Fische durch das Schwimmen im Schwarm Energie sparen, kann nur durch die Messung ihres Energiehaushaltes beantwortet werden. Da eine akkurate Messung bei Fischen in freier Wildbahn bisher nicht möglich war, haben vorangegangene Studien versucht, diese Frage mit theoretischen Modellen und Berechnungen zu beantworten.
Die aktuelle Studie hat die experimentelle Hürde jedoch überwunden. Die Forschenden entwickelten einen 3D-Roboterfisch, der eine weiche Schwanzflosse besitzt und mit Hilfe wellenförmiger Bewegungen schwimmt, welche die Fortbewegungsweise eines echten Fisches exakt nachahmen. Im Gegensatz zu ihrem lebendigen Pendant ermöglichen die Roboter allerdings eine direkte Messung des Energieverbrauchs beim Schwimmen allein sowie beim Schwimmen im Verbund mit anderen.
„Durch die Entwicklung eines bionischen Roboters konnten wir das grundlegende Problem der Bestimmung des Energieverbrauchs beim Schwimmen lösen“, erklärt Dr. Liang Li, Postdoktorand am MPI-AB und Erstautor der Studie. „Wenn wir nun mehrere Roboter miteinander interagieren lassen, können wir auf effiziente Weise untersuchen, wie sich unterschiedliche Strategien des gemeinsamen Schwimmens auf die Fortbewegungskosten auswirken.“
Eine einfache Regel und ein verzögerter Takt
Die Forschenden verglichen Roboterfische, die in Paaren schwammen, mit allein schwimmenden Exemplaren. In mehr als 10.000 Versuchen testeten sie hinterherschwimmende Fische in jeder möglichen Position relativ zu den voranschwimmenden Fischen – und verglichen dann ihren Energieverbrauch mit dem der allein schwimmenden Fische.
Dabei zeigten sich hinsichtlich des Energieverbrauchs klare Unterschiede zwischen allein schwimmenden Roboterfischen und solchen, die sich in Paaren fortbewegten. Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass dies damit zusammenhängt, wie voranschwimmende Fische die Hydrodynamik der nachfolgenden Fische beeinflussen. Der Energieverbrauch eines nachfolgenden Fisches wird von zwei Faktoren bestimmt: durch seinen Abstand zum Leitfisch und durch das Verhältnis, in dem sein Schwanzschlag zu dem des Leitfisches steht. Es ist also mit anderen Worten wichtig, ob sich der nachfolgende Fisch eher näher oder eher weiter entfernt vom Leitfisch befindet und wie er den Schlag seiner Schwanzflosse anpasst, um die vom Leitfisch erzeugten Strudel auszunutzen.
Das Geheimnis liegt also in der Synchronisierung: Um Energie zu sparen, müssen die Tiere ihren Schwanzschlag an den des Leitfisches anpassen, wobei abhängig von ihrer Position im Schwarm eine entsprechende zeitliche Verzögerung nötig ist – eine Strategie, die das Forschungsteam „vortex phase matching“ nennt. Für Fische, die neben Leitfischen schwimmen, ist es besonders energieeffizient, ihren Schwanzschlag mit dem des Leitfisches zu synchronisieren. Je weiter sie jedoch zurückfallen, desto größer sollte die Verzögerung zum Schwanzschlag des Leitfisches werden.
Wirbel sichtbar machen
Um die sogenannte Hydrodynamik sichtbar zu machen, ließen die Forschenden winzige Wasserstoffblasen im Wasser aufsteigen und beleuchteten sie mit einem Laser. Dadurch wurden die von den Schwimmbewegungen der Roboter erzeugten Strudel sichtbar. Es stellte sich heraus, dass die Leitfische Wasserstrudel erzeugen, die dann stromabwärts wandern. Auch zeigte sich, dass die Roboter diese Strudel auf verschiedene Weise nutzen konnten. „Es geht nicht nur darum, Energie zu sparen. Indem sie ihren Takt anpassen, können hinterherschwimmende Fische die von anderen Fischen erzeugten Wasserstrudel auch nutzen, um Vorwärtsschub zu generieren und zu beschleunigen“, sagt Co-Autor Dr. Máté Nagy, der als Postdoktorand des MPI-AB an diesem Projekt arbeitete. Mittlerweile leitet er die Forschungsgruppe für Schwarmverhalten „Lendület“ der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Eötvös (Ungarn).
Das Ergebnis bei echten Fischen
Aber nutzen auch echte Fische die Strategie des „vortex phase matching“, um Energie zu sparen? Um diese Frage zu beantworten, schuf das Forschungsteam ein einfaches hydrodynamisches Modell, das prognostiziert, wie sich echte Fische verhalten würden, sofern sie „vortex phase matching“ nutzen. Das Team setzte künstliche Intelligenz zur Analyse der Körperhaltung gemeinsam schwimmender Goldfische ein und stellte fest, dass diese Strategie tatsächlich in der Natur zur Anwendung kommt.
Couzin erklärt: „Wir haben eine einfache Regel für die Synchronisierung mit Nachbarfischen entdeckt, die es hinterherschwimmenden Fischen erlaubt, vom Schwarm erzeugte Strudel kontinuierlich zu nutzen. Vor unseren Roboterexperimenten wussten wir einfach nicht, wonach wir suchen sollten, und so blieb diese Regel bislang unentdeckt.“
Faktenübersicht:
- Neue Studie eines internationalen Forschungsteams der Universität Konstanz, des Konstanzer Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie (Max Planck Institute of Animal Behavior, MPI-AB), der Universität Peking (China) und der Eötvös Universität (Ungarn) zeigt anhand eines seltenen experimentellen Beweises, dass Fische durch das Schwimmen im Schwarm Energie einsparen.
- Da eine akkurate Bestimmung des Energiehaushaltes bei freilebenden Fischen schwierig ist, haben vorangegangene Studien hauptsächlich auf theoretische Modelle und Berechnungen gesetzt.
- Im aktuellen Forschungsprojekt wurden bionische, fischartige Roboter genutzt, um nachzuweisen, dass Fische von den durch ihre voranschwimmenden Artgenossen erzeugten Wasserstrudeln profitieren – indem sie eine einfache Verhaltensregel anwenden, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler „vortex phase matching“ nannten.
- Es gelang außerdem, zu zeigen, dass diese bislang unbekannte Regel, die anhand der Roboter nachgewiesen werden konnte, auch unter freilebenden Fischen angewendet wird.
- Originalpublikation: Vortex phase matching as a strategy for schooling in robots and in fish. Liang Li, Máté Nagy, Jacob M. Graving, Joseph Bak-Coleman, Guangming Xie & Iain D. Couzin. Nature Communications. DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-020-19086-0
- Liang Li, Jacob Graving, Joseph Bak-Coleman und Iain Couzin arbeiten am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie (MPI-AB) und dem Exzellenzcluster „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ der Universität Konstanz. Máté Nagy arbeitete als Postdoktorand des MPI-AB an diesem Projekt, er forscht nun an der Eötvös Universität und der Ungarischen Akademie der Wissenschaften.